1. Zusammenfassung
Der Gefängnisspuk in Weinsberg, 1836 [1]
Justinus Kerner (1786–1862) verfasste im Jahr 1836 mit Eine Erscheinung aus dem Nachtgebiete der Natur die Dokumentation eines Spukfalles, der sich im Gefängnis der Stadt Weinsberg 1835 und Anfang 1836 zugetragen hatte. Kerner wurde durch das Bezirksgericht mit der Untersuchung des Falles beauftragt, der einer der Gefangenen, Elisabetha Eslinger, zugeschrieben wurde, beauftragt. Sein Bericht gehört zu den ausführlichsten Dokumentationen eines Spukfalles überhaupt. Auf 351 Seiten sammelt Kerner sämtliche Zeugenaussagen und dokumentiert die Begebenheiten vor Ort. Zu den Besonderheiten des Falles gehört, dass er innerhalb eines abgesicherten Gefängnisses stattfand, praktisch jede Nacht auftrat und von Dutzenden Zeugen beobachtet wurde.
2. Der Ort und die Geschehnisse
Das Gefängnisgebäude befand sich in der Innenstadt von Weinsberg. Wie üblich, war das Gebäude entsprechend gesichert mit vergitterten Fenstern und Türen. Der Gefängnishof war von einer Mauer umgeben, der Sicherheitseingang war stets verschlossen. Die Insassen waren im ersten Stock des Gebäudes untergebracht; weibliche und männliche Gefangene hatten eigene Zellen, die als „Gefängnis im Gefängnis“ konstruiert waren, d.h. sie waren eigenständige Räume, die sich in einem großen Raum befanden. Ihre Wände waren gemauert und vertäfelt und standen frei und komplett von Fluren umgeben; keine Wand stieß also an die Außenmauern des Gebäudes. Elisabetha Eslingers Zelle hatte zwei Fenster, die auf die Flure hinausführten. Diese Fenster waren vergittert. Ein drittes, kleineres Fenster im Dach der Zelle diente als Frischluftzufuhr. Dieses kleine Dachfenster konnte nur mit einem Seil geöffnet werden, das durch ein Metallrad geführt wurde, welches laute Geräusche produzierte, wenn es bedient wurde. Es gab eine Tür, zwei recht große einfache Betten in denen jeweils mehr als eine Person liegen konnte, einen Ofen in der Ecke neben der Tür und einen Stuhl. Nachts wurde der Flur von einer Öllampe erhellt, die vor der Tür des Gefängniswächters, Herrn Mayer, die sich im selben Stockwerk befand, angebracht war. Eslingers Zelle befand sich in einer Reihe von drei Zellen ganz rechts von der Treppe aus. Die Zelle in der Mitte war leer, in der linken Zelle waren männliche Gefangene untergebracht. Ihnen gegenüber an der linken Wand lagen die Räume von Herrn und Frau Mayer, sein Schlafzimmer und das Wohn- und Schlafzimmer seiner Nichte und eines Dienstmädchens, eine weitere Kammer und an der gegenüberliegenden Wand die Küche. Aus der leeren Zelle und aus Eslingers Zelle schaute man direkt auf die Wand, hinter der der Gefängnishof lag. Laut einer Grundrissrekonstruktion [2] lag eines der Fenster von Eslingers Zelle direkt dem Außenfenster gegenüber. Da der Raum der Wachen direkt der Zelle mit den männlichen Insassen gegenüber lag, konnten diese mit der Beleuchtung den Flur sehen, wenn merkwürdige Geräusche auftraten und sich auf Eslingers Zelle zubewegten.
Die berichteten Phänomene traten fast jede Nacht über viele Wochen auf und konnten deshalb immer wieder beobachtet und dokumentiert werden. Sie wurden scheinbar durch einen kommunikationsbereiten „Geist“ verursacht, der wiederholt angab, auch Menschen außerhalb des Gefängnisses besucht zu haben, z.B. in anderen Häusern in Weinsberg und sogar in anderen Städten, sowohl, weil man darum gebeten hatte, als auch auf eigene Initiative. Entsprechend viele Zeugen gab es und fast alle waren befragt oder gebeten worden, ihre Erlebnisse niederzuschreiben. Die Gefangenen kamen aus unterschiedlichen Städten und waren in der Regel nicht informiert über die Spukvorfälle. Dennoch berichteten alle Zeugen sehr ähnliche oder identische Beobachtungen unabhängig voneinander. Dazu kamen etliche weitere Leute mit sehr gutem Leumund, darunter Gerichtsangestellte, Ärzte und ein Universitätsprofessor. Abgesehen von seinen eigenen Aussagen und denen von Elisabetha Eslinger und einer ihrer Töchter, hielt Kerner 47 Zeugenaussagen in seinem Bericht fest.
Von diesen insgesamt 50 Zeugenaussagen, berichten 48 von unerklärlichen akustischen Phänomenen wie gesprochenen Wörtern, Schreien, Fußschritten, Klopfen, Schüssen, tropfendem Wasser, raschelndem Papier, fliegenden Objekten, Flügelschlagen wie von Vögeln im Flug, heftigem Klappern von Fenstern, Türeschlagen, Gebrüll und Windstöße, die das ganze Haus erschütterten; dazu kamen eine Reihe von zischenden und rauschenden Geräuschen, die keiner realen Beschreibung zugeordnet werden konnten. Zusätzlich berichteten 29 Zeugen von undefinierbaren visuellen Erscheinungen in der Dunkelheit, die am ehesten einem sich bewegenden gelben oder weißen Fleck ähnelten, manchmal aber auch blinkenden Sternen, menschenähnlichen Umrissen oder sogar eine komplette Erscheinung. Taktile Empfindungen wie kalte Luftzüge oder das Gefühl, berührt zu werden, wurden von 25 Zeugen berichtet. Viele gaben auch an, dass ihre Decke weggezogen oder vom Bett geworfen worden sei. Dazu sagten 14 Zeugen, dass sie einen intensiven, übelkeitserregenden Gestank von Verwesung wahrgenommen hatten, der jeweils mit den anderen Phänomenen auftauchte und wieder verschwand. Zudem sollen zwei Katzen ungewöhnliches Verhalten gezeigt haben während des Auftretens der Phänomene; eine starb sogar [3].
3. Die Fokusperson
Elisabetha Eslinger war eine arme Frau von 39 Jahren, die zwei Kinder hatte und in diesem Poltergeistfall als Fokusperson verstanden werden kann. Ihr Ehemann starb nach 18 Jahren Ehe. Als die Phänomene auftraten, war sie bereits seit mehr als fünf Monaten im Gefängnis. Sie hatte versucht, andere Leute zu überzeugen, einen vermeintlich versteckten Schatz zu bergen. Tatsächlich behauptete sie, seit ihrer Jugend Geister sehen zu können, aber nie mit ihnen engeren Kontakt gehabt zu haben. Doch habe kürzlich eine Erscheinung namens „Anton“ angefangen, sie zu belästigen. Er wolle unbedingt, dass sie für ihn bete, und zwar in einem bestimmten Keller in einer Nachbarstadt, um ihn von diesem Ort zu erlösen und ihm seine früheren Missetaten zu vergeben. Eslinger weigerte sich, seine Forderungen zu erfüllen – ihre Gefangenschaft hinderte sie ja auch daran. Der vermeintliche Geist gab sich ihr hörbar und sichtbar zu erkennen und wurde angeblich auch von ihrer 14-jährigen Tochter gesehen, wie diese Kerner gegenüber angab. Als Eslinger ins Gefängnis kam, folgte ihr „Anton“ offenbar und erschien Nacht für Nacht, raubte ihr den Atem und verursachte die beschriebenen Phänomene. Entsprechend entnervt und gestresst waren Herr Mayer, der Gefängniswächter, und seine Familie. Seine Berichte und Eslingers dazugehörige Erklärung führten schließlich dazu, dass Kerner am 12. September 1835 seine Ermittlungen aufnahm.
Kerner besuchte Eslinger im Gefängnis, interviewte andere Gefangene und ließ ehemalige Insassen durch die Pastoren ihrer jeweiligen Heimatgemeinde befragen. Er kam zu dem Schluss, dass Eslinger psychisch gesund sei und dass die Beobachtungen Fakten entsprachen. Nach 11 Wochen schrieb er seinen ersten Bericht an das Gericht und weitere Ermittlungen wurden angeordnet.
Im Folgenden werden einige Zeugenaussagen wiedergegeben:
Am 18. Oktober beobachtete Kerner demnach gemeinsam mit seiner Frau und der Frau des Gefängniswächters, wie Frau Eslinger „wieder“ begann, stereotyp zu atmen und hörte, ebenfalls zum wiederholten Male, eine Art Rollen und Rascheln wie von Papier an den Wänden und ein Geräusch, als würde ein starker Wind in ein Stück Stoff oder Papier hineinblasen im Flur. Catharina Sinn, die für zwei Wochen im Gefängnis in der Zelle neben Eslinger gewesen war, berichtete, dass sie – obwohl sie nichts von den Vorgängen gewusst habe – an den Fenstergittern und in der Zelle selbst ein Rauschen gehört habe, das sehr einem Papierrascheln ähnelte, obwohl es nirgendwo Papier gab. Außerdem hörte und fühlte sie, dass sich etwas vor und zurück bewegte. Die Bewegungsgeräusche wurden wiederum von Rauschen und kalten Luftzügen begleitet, obwohl Türen und Fenster geschlossen waren. In einer Nacht habe sie gedacht, dass etwas wie ein Stück Gips von ihrem Ofen gefallen sei, aber am nächsten Morgen konnte sie nichts finden. Einmal hatte sie das Gefühl gehabt, dass ihre Stirn sehr sanft berührt worden wäre, zudem hörte sie eine Art Schlurfen und weitere Geräusche. Letztlich bekam sie so viel Angst, dass sie in eine Zelle mit anderen verlegt wurde. Sie hörte die Geräusche weiterhin, aber dadurch, dass sie nicht mehr allein war, fürchtete sie sich nicht mehr in dem Maße. Sie gab an, dass die anderen ihr dann von dem Spuk erzählt hätten und sie sogar eine Stimme gehört habe, die nicht von dieser Welt gewesen sei. Sie habe aber nichts verstehen können, außer ein paar wenige Male, als sie und die anderen klar das Wort „Bete“ verstanden hätten.
Die Frau des Gefängniswächters, Frau Mayer, verbrachte mit ihrer Nichte und dem Dienstmädchen die Nacht vom 8. auf den 9. Dezember 1835 in der Zelle von Frau Eslinger. Sie lagen in einem Bett und Frau Eslinger in dem anderen. Frau Mayer gab an, dass sie im Mondscheinlicht aufrecht auf dem Bett sitzend Frau Eslinger beobachtet habe. Alle drei sahen dann, wie der Stuhl mit Wucht zurückgeschoben wurde. Eslinger habe währenddessen ruhig und leise betend in ihrem Bett gelegen. Später flog dann noch das Fenster gegenüber mit einer Wucht auf, dass sie fürchteten, alle Scheiben wären zerbrochen. Frau Eslinger habe ihnen dann mitgeteilt, dass dies das Werk des Geistes sei, der nun auf dem Stuhl sitze. Sie konnten nichts sehen, hörten aber wenig später Fußschritte, die sich nicht menschlich anhörten und nahe an ihr Bett herankamen. Dies habe eine halbe Stunde gedauert, von Mitternacht an. Dann hätten sie einen starken Windstoß wahrgenommen und eine sehr spezielle Stimme gehört, die sie schon vorher einmal wahrgenommen hatten. Im Widerspruch zu ihrer ersten Aussage, gab Frau Mayer dann an, während der Nacht immer wieder einen hellen Schatten gesehen zu haben, der zuerst auf dem Stuhl gesessen habe und dann hin und her schwebte; sie habe ausschließen können, dass es sich um ein externes Licht oder den Mond gehandelt habe und außerdem sei der Schatten praktisch unbeschreiblich gewesen. Frau Eslinger habe die ganze Zeit über gebetet und je leidenschaftlicher sie dies tat, desto näher kam der Schatten, der oft auf ihrem Bett zu sitzen schien. Wenn sich der Schatten Frau Mayer und dem Dienstmädchen näherte, nahmen beide einen kalten Wind in dem verschlossenen und warmen Raum wahr.
Nach 5 Uhr in der Früh, als sich der Schatten wieder Frau Mayer genähert und sie seinen kalten Luftzug wahrgenommen hatte, forderte sie ihn auf, in das Zimmer ihres Mannes zu gehen und dort ein Zeichen zu hinterlassen. Sie hörte ein „ja“ und dann, wie sich die Zellentür öffnete und schloss, der Schatten hinausglitt und ein Schlurfen im Flur. Eine Viertelstunde später kehrte der Schatten zurück, wobei er sich dieses Mal durch das Fenster zum Flur Zutritt verschaffte. Auf die Frage, ob der Schatten seine Aufgabe erfüllt habe, ertönte ein hohles kurzes Lachen. Als sie ihren Mann fragte, war der überrascht und erzählte, dass seine fest verschlossene Schlafzimmertür am Morgen aufgestanden sei.
Von da an sei der Geist öfter bei den Mayers im Schlafzimmer gewesen und habe sein Kommen immer durch Geräusche vor dem Bett oder im Zimmer angekündigt, die aus Knacken, Klopfen oder einem Geräusch, als würde Sand geworfen werden, bestanden. Manchmal habe es auch Geräusche gegeben, für die kein Vergleich gefunden werden konnte.
Im Dezember 1835 scheint der Geist besonders aktiv gewesen zu sein und wurde auch von den männlichen Insassen in einer der drei Zellen wahrgenommen. Sie wussten angeblich nichts von den Vorfällen, fragten Herrn Mayer aber nach der Ursache für die nächtlichen Ruhestörungen. Der 19-jährige Christian Bauer gab an, dass er am 11. Dezember um 3 Uhr morgens wach geworden sei und in der Zelle ein Geräusch gehört habe wie ein Papierrascheln, ein Klopfen und plötzlich habe ein heller Schatten vor ihm gestanden. Der habe ihm gesagt, „du brauchst Geduld!“, was sein Zellennachbar ebenfalls gehört habe, und zwar in einer hohlen, rauen und keinesfalls menschlichen Stimme. Nach diesem Erlebnis beschränkten sich seine Erfahrungen auf verschiedene Geräusche, gewöhnlich gegen drei Uhr morgens, die er mit den anderen Insassen hörte. Am 3. Advent sei dies beispielsweise ein Schlag gewesen, der das Haus erschütterte, dann sei etwas den Flur entlanggekommen und es hätte sich angehört, als würde jemand an den Fenstern rütteln. Dann sei das Geräusch zu der Zelle am anderen Ende gegangen und dort hätten sie dann eine Frau laut beten gehört.
Die Geschichte wurde durch den erwähnten Zellengenossen, Johann Strecker, bestätigt. Auch ein Bauer namens Benz gab ab, dass er während dreien von den vier Nächten, die er im Gefängnis verbrachte, ein Tosen und Toben gehört hätte, als würde das ganze Haus zerstört werden.
Mit Erlaubnis des Gerichts verbrachte zunächst Kerners Sohn Theobald die Nacht vom 26. auf den 27. Dezember in der Zelle der Männer, in der sich zu dem Zeitpunkt auch noch Johann Strecker befand sowie ein weiterer Insasse, Ludwig Gräter. Theobald gab an, dass er während der Nacht verschiedene, teils sehr laute Geräusche hörte. Gegen drei Uhr morgens seien diese nochmals lauter gewesen. Die ganze Zeit über habe er Frau Eslinger laut beten gehört [4].
Am 27. Dezember verbrachten vier weithin geschätzte Männer die Nacht im Gefängnis: Heinrich Christian Kapff, ein Professor der Physik und Mathematik, und Christian Friedrich Duttenhofer, ein angesehener Kupferstecher, verbrachten die Nacht in Frau Eslingers Zelle. Pastor Johann Stockmayer und der Maler Josef Wagner waren in der Zelle von Strecker und Gräter. Sie nahmen die Rolle von Beobachtern ein, die die beiden Gefangenen die Nacht über im Auge behielten und zeitgleich teilweise den Flur bewachen konnten. Alle vier berichteten kongruent von ihren Beobachtungen: Merkwürdige Geräusche, die sich den Flur entlang in Frau Eslingers Zelle bewegten und dort den bereits von allen anderen Zeugen berichteten Lärm fortsetzten, Geräusche, die elektrischen Kurzschlüssen ähnelten, Tropfen, Werfen von Gips, Papier, das über eine Oberfläche gezogen wird, sehr heftiges rütteln und wackeln eines Fensters, Kutschengeräusche und so weiter. Die Männer in der Zelle mit Frau Eslinger, Kapff und Dudenhöfer, bemerkten außerdem hin und wieder einen hellen Schatten, der wenn er näherkam einen kalten Luftzug mit sich brachte. Einmal gab Frau Eslinger an, dass sich „Anton“ in der Zelle befinden würde, aber die beiden Männer konnten nichts Besonderes sehen oder fühlen. In der Zelle mit den männlichen Gefangenen hörten Stockmayer und Wagner dieselben Geräusche wie sie von Kapff und Dudenhöfer beschrieben worden waren. Sie sahen aber niemals eine Person, die als Verursacher in Frage gekommen wäre und die zwei Gefangenen verhielten sich ruhig während der Nacht. Der vermeintliche Geist schien nicht versucht zu haben, diese Zelle zu betreten.
Auch in der folgenden Nacht gab es wieder außenstehende Gäste. Dieses Mal waren es der Arzt Dr. Philipp Sicherer und der Rechtsberater Karl Franz Fraas, die sich das zweite Bett in Frau Eslingers Zelle teilten. Bereits als sie um 20.30 Uhr beim Gefängnis ankamen und darauf warteten, eingelassen zu werden konnten sie ein trommelndes Geräusch an einem der vergitterten Fenster hören, das viel lauter war als alles, was menschliche Hände hätten produzieren können. Sie untersuchten die Zelle, konnten aber nichts Verdächtiges entdecken und erwarteten die Nacht.
Wiederum berichteten sie von den üblichen Geräuschen, einschließlich des heftigen Werfens von grobem Sand oder Gips, ohne dass sie das dazugehörige Material hätten finden können. Sicherer berichtete zudem von einem Rütteln der Fenster, das praktisch das ganze Haus erbeben ließ, einem gewaltigen Getöse, als würden die Dachbalken nachgeben. Dazu hörten sie Fußschritte in der Zelle, das scheinbare Öffnen und Schließen der Zellentür und weitere laute Geräusche nach dessen Abklingen sich Sicherer ziemlich verwirrt fühlte.
Vom 29. auf den 30. Dezember waren Baron Albert von Hügel und Pastor W. Megnin in der Zelle von Frau Eslinger zu Gast. Sie beobachteten die üblichen Phänomene, einschließlich eines schwebenden, hellen gelblichen Schattens und dem scheinbaren Rütteln des Fensters in der Nähe ihres Bettes, das Frau Eslingers Bett gegenüberlag. Dazu ertönte ein „schreckliches Geräusch und Dröhnen, als ob alle Glasscheiben zerspringen würden” [5]. Dabei schien sich das Fenster aber nicht zu bewegen und es schien sich auch niemand im Flur aufzuhalten. Als sie versuchten, den Lärm nachzustellen fanden sie heraus, dass Fenster und Gitterstäbe unbeweglich waren und sie konnten nicht einmal annähernd ähnliche Geräusche produzieren.
Am Abend des 30. Dezembers traf dann Justinus Kerner mit dem Arzt Dr. Johann Seyffer in Frau Eslingers Zelle ein. Um Irritationen durch das Mondlicht zu verhindern, verhängten sie die Zellenfenster mit Tüchern. Somit war es innerhalb der Zelle stockdunkel. Trotzdem erschien gegen 20 Uhr in der Zelle ein gelbes Licht, das Dr. Seyffer anleuchtete. Das Licht schwebte dreimal vor und zurück und war für ungefähr sieben Minuten sichtbar. Frau Eslinger versicherte ihnen, dass es zu „Anton“ gehören würde, den sie sehen würde. Kerner und Seyffer gingen im Anschluss direkt in den Gefängnishof, doch der Himmel war wolkenverhangen und der Mond nicht sichtbar. Um 21 Uhr traf Herr Heyd ein, der bereits vom 17. auf den 18. Dezember in der Zelle gewesen war und löste Kerner ab, der das Gebäude verließ. Die beiden Männer beobachteten die üblichen Phänomene, aber ohne Lichter oder das heftige Fensterrütteln.
Elisabetha Eslinger wurde am 12. Januar 1836 aus dem Gefängnis entlassen. Sogar danach berichteten weitere Insassen von den typischen Phänomenen, obwohl sie nichts davon wissen konnten. Kerner fand weitere Zeugen, die aussagten, dass sie Vorfälle im eigenen Haus gehabt hätten. So zum Beispiel Herr Theurer, ein Gerichtssachverständiger. Er hatte Frau Eslinger während seiner Befragung aufgefordert, ihm doch den Geist nach Hause zu schicken. Kerner gegenüber gab er an, dass er in einer Nacht aufgewacht sei, weil er jemanden vor seinem Schlafzimmer in Socken umhergehen hörte. Er sprang sofort auf, um nachzusehen, fand aber niemanden. Doch lag ein fürchterlicher Gestank nach Verwesung in der Luft. Von da an waren in mehreren Nächten Geräusche zu hören, wie Knacken, Sandwerfen und weitere, die er als „unbeschreiblich“ definierte [6]. Seine Katze hätte sich ebenfalls erschrocken und sich versteckt.
Interessanterweise scheinen die Personen, die unter und über Herrn Theurers Wohnung lebten, ebenfalls gelegentlich von dem Spuk besucht worden zu sein. Herr Neusser, ein Lehrer, der unterhalb von Herrn Theurer wohnte, wusste rein gar nichts von den Spukereignissen im Gefängnis und war entsprechend ratlos, als die merkwürdigen nächtlichen Vorfälle passierten. Herr Bürger hingegen, der in der Wohnung über der von Theurer wohnte, war mit dem Fall sehr vertraut. Er hatte die Nacht vom 18. Dezember selbst im Gefängnis verbracht, blieb aber skeptisch in Bezug auf die Ereignisse. Frau Eslinger hatte seine Zweifel mitbekommen und bat „Anton“, ihn eines Besseren zu belehren.
Prompt habe er in mehreren Nächten „Besuch“ bekommen, meist gegen drei Uhr früh. Beispielsweise sei er aufgewacht und habe gehört, wie feste Gegenstände den Schornstein heruntergefallen sein – ohne dass es wirklich Spuren davon gab. Eine sicher auf einem Tisch stehende Flasche sei umgefallen und in der Nacht vom 13. auf den 14. Januar sah er nach dem Aufwachen gegen drei Uhr morgens, wie eine Wand komplett in gelbem Schein erleuchtet war und in der Mitte einen hell leuchtenden weißen Streifen in Gestalt eines Mannes. Dies habe mehrere Minuten angehalten, dann sei ein Geräusch zu hören gewesen, als würde Tapete an der Wand entlanggerollt werden, an der sich die Erscheinung befand und mit ihr aus dem Fenster verschwinden. Gleichzeitig hörte es sich an, als würde eine kleine Kutsche im Zimmer umherrollen und dann hörte er Fußschritte im Flur vor dem Zimmer. Er versicherte, dass es nicht um den Mondschein gehandelt haben könnte, da der Mond in dieser Nacht erst später schien und die Erscheinung auch nicht die Größe des Fensters, das der Wand gegenüberlag, aufwies.
Weitere Personen berichteten von Phänomenen in ihrem eigenen Zuhause, darunter auch Professor Kapff und Baron von Hügel, wobei hier der Geist offenbar auf eigene Initiative entschieden haben soll, den Herren einen Besuch abzustatten. Unabhängig voneinander berichteten sie alle die typischen Phänomene: Knacken, Schlurfen oder Laufen, Geräusche wie elektrische Kurzschlüsse, das Rascheln von Papier, kalte Windzüge, ein unerträglicher Gestank und gelegentlich ein gelbes Licht.
Betroffen war auch der Maler Carl Dörr, auf dessen Aussage Kerner besonders Wert legte, da er stets skeptisch derartigen Vorfällen gegenübergestanden hatte. Er hatte darum gebeten, dass ihn der Geist besuchen solle in Heilbronn. Obwohl er damit gerechnet hatte, dass nichts passieren würde, gab es an drei Nächten eine Reihe unerklärlicher Geräusche und Luftzüge in seinem Schlafzimmer in Heilbronn, die er sich nicht erklären konnte. Mäuse konnte er jedenfalls ausschließen; zum einen sei das Schlafzimmer hell genug erleuchtet gewesen und die ausgelegten Köder waren seit über einer Woche nicht angerührt worden.
Auch Kerner selbst bekam offenbar Besuch in seinem Haus, das sich etwa 450 Meter vom Gefängnis in gerader Linie entfernt befand. Kerner gab an, dass es beinahe jede Nacht über mehrere Wochen zu den bekannten Phänomenen gekommen sei, einschließlich Erscheinungen. Er führt mehrere Beispiele an, so zum Beispiel die Nacht vom 19. auf den 20. Dezember, wo er und seine Familie gegen 3:15 Uhr morgens Geräusche hörte und an der Bettdecke seiner Frau gezogen wurde. Zudem sei ein Schuss in der Mitte des Zimmers ertönt und in der Nacht auf den 27. Dezember – sein Sohn befand sich bei Frau Eslinger im Gefängnis – wurden sie wach und hörten Geräusche wie Knacken, Klopfen, als würde Sand geworfen werden und einen merkwürdigen kreischenden Ton, als würde jemand zu sprechen versuchen, es aber nicht schaffen. Seine Frau habe in der Nacht auf den 2. Januar sogar mit der Erscheinung sprechen wollen, doch als sie es versuchte, wurden ihr Mund und ihre Zunge ganz unbeweglich und steif. Vom 24. auf den 25. Januar kamen noch ein Schlag und Geräusche, wie von Flügelschlagen dazu, sowie eine gelbe Kugel in der Größe eines kleinen Tellers, die Kerner an der Wand sah, an der sein Bett stand. Dies dauerte mehrere Minuten und auch er paralysierte, als er versuchte sich zu äußern.
Das Letzte der durch Kerner selbst beobachteten Phänomene betraf sein Pferd. Am 27. Januar, nachdem die üblichen Geräusche ertönt und ein heller Schatten aufgetreten war, hörten die Kerners einen Schlag und dann ein Geräusch, als würde sich das Pferd aus dem Stall heraus bewegen, obwohl alle Türen verschlossen waren. Am nächsten Morgen fanden sie das Pferd trotz der immer noch verschlossenen Türen tatsächlich in dem Raum vor der eigentlichen Box. Das Zaumzeug war intakt, obwohl die Kette, mit der das Pferd eigentlich in der Box an den Trog gebunden wurde, verschwunden war.
Wie bereits erwähnt, hatte Elisabetha Eslinger das Gefängnis am 12. Januar 1836 verlassen. Dennoch hatten sich die spukhaften Ereignisse sowohl im Inneren des Gefängnisses wie auch außerhalb desselben fortgesetzt. Seinen finalen Abschied nahm „Anton“ am 11. Februar 1836. Während „Anton“ anfangs von Frau Eslinger das Beten in einem bestimmten Keller in Wimmental eingefordert hatte, gab er nun an, dass auch das Beten im Außenbezirk von Wimmental reichen würde, um ihn von seinem Bann zu erlösen. Das Ganze fand um 3 Uhr morgens statt, dem Zeitpunkt also, zu dem „Anton“ gewöhnlich am aktivsten gewesen war. Leider konnte Justinus Kerner, der Frau Eslinger diese Vorgehensweise empfohlen hatte, nicht dabei sein. Stattdessen nahm auf sein Bitten hin eine Frau aus Weinsberg teil, der er sehr vertraute: Christiane Wörner. Sie beobachtete die Zeremonie mit ihren zwei Schwestern und weiteren Freunden aus gut 30 Metern Entfernung von Frau Eslinger. Als Frau Eslinger anfing zu beten, sei eine helle Erscheinung auf sie zugegangen und ein Licht habe einmalig aufgeblitzt. Dann sei etwas, wie eine weiße Wolke auf sie zugeschwebt, die sich schließlich in die Luft hob und verschwand. Nach ungefähr 15 Minuten wären sie zu Frau Eslinger hinüber gegangen und hätten sie kalt und bewusstlos auf dem Boden liegend vorgefunden. Als sie wieder aufwachte gab sie an, der Geist habe ihr zum Abschied die Hand gereicht. Sie habe ihre Hand in ein Tuch gewickelt, bevor er sie berührte, doch sei in diesem Augenblick eine Flamme erschienen, die Brandlöcher im Tuch hinterlassen habe. Laut Frau Wörner waren diese unschwer zu erkennen.
4. Kritische Betrachtung
Michael Nahm stellt fest [7], dass Justinus Kerners Interesse an paranormalen Phänomenen nicht ganz so neutraler Natur war, wie er den Anschein erwecken möchte, sondern sein Bericht auch mit seinen persönlichen Perspektiven eingefärbt ist. Es tritt klar hervor, dass er selbst der Meinung ist, dass die Vorgänge in dem Gefängnis in Weinsberg durch eine verstorbene Person verursacht wurden. Als Begründung gibt er an, dass der Spuk scheinbar nicht von Elisabetha Eslinger abhängig war, da er wiederholt in den weit entfernten Häusern von Augenzeugen auftrat und Frau Eslinger davon nicht einmal gewusst habe. Zudem gibt er an, dass diese „entfernten Spukhaften Ereignisse“ and die anderen Phänomene auftraten, als Frau Eslinger bei vollem Bewusstsein gewesen sei und nicht in einer Art Trance. Kerner blieb dabei auch offen für andere Interpretationen; so hielt er es einige Jahre später für durchaus wahrscheinlicher, dass der Gefängnisspuk dämonischer Natur gewesen sei.
Kerners Untersuchungsweise war strukturiert und er versuchte auch Experimente einzubringen, wie z.B. den Versuch, „Anton“ aufzufordern einige Personen Zuhause aufzusuchen. Durch die typischen Eigenheiten des Gefängnisses konnte eine Beeinflussung von außen quasi ausgeschlossen werden. Frau Eslinger hingegen war der Fokus möglichen Betrugs. Kerner wandte folgende Kontrollen und Methoden an:
- Wie üblich in Gefängnissen waren alle Zellentüren stets verschlossen, außer wenn jemand ein- oder austrat. Sogar die Besucher blieben über Nacht in den Zellen, die von außen durch Herrn Mayer verschlossen wurden. Die Türen, die zu Mayers Räumen und zum Flur führten, der durch eine Öllampe beleuchtet war, waren ebenfalls verschlossen.
- Die Leute, die Frau Eslinger beaufsichtigten redeten auch immer wieder mal mit ihr in der im Übrigen dunklen und ziemlich engen Zelle, sodass sie feststellen konnten, wo sich Frau Eslinger befand. Grundsätzlich soll sie sich aber praktisch immer in ihrem Bett aufgehalten haben, was akustisch durch das ständige Beten bestätigt werden konnte. Weibliche Zeugen, insbesondere Mitgefangene, lagen zudem im selben Bett und sagten aus, dass sie bewegungslos dagelegen und gebetet hätte während des Auftretens der Phänomene. Manchmal hielten verängstigte Zellengenossinnen auch ihre Hände und das Stroh in ihrer Matratze knisterte hörbar, wenn sie sich bewegte.
- Einige Male wurden weiblichen Gefangenen auch vereinfachte Haftbedingungen angeboten, wenn sie in der Lage wären, einen möglichen Betrug zu überführen. Dennoch sagten alle aus, dass sie sich praktisch nicht bewegt habe, während die Geräusche in voller Lautstärke auftraten.
- Die Zelle wurde wiederholt untersucht nach möglichen Objekten, die zum Betrug eingesetzt werden könnten. Ein Beispiel: Als es sich anhörte, als würden Sand, Gips oder andere kleine Objekte nachts in die Zelle geworfen werden, konnte am nächsten Morgen nichts gefunden werden. Das Stroh in Frau Eslingers Matratze wurde gelegentlich gewechselt, um die Möglichkeit auszuschließen, dass sie dort etwas versteckte. Und von der Matratze abgesehen, gab es keine anderen Versteckmöglichkeiten in der Zelle.
- Wie beschrieben folgten vier Leute Kerners Einladung, die Phänomene vor Ort zu untersuchen und blieben in der Nacht zum 27. Dezember im Gefängnis. Während Kapff und Dudenhöfer die Nacht in Eslingers Zelle verbrachten, überwachten Stockmayer und Wagner alles von der Zelle der männlichen Gefangenen aus, von wo sie den Flur, der zu Frau Eslingers Zelle führte und gleichzeitig die männlichen Insassen überblicken konnten. Die gewöhnlichen Phänomene traten auf, ohne dass die vier Männer auch nur den leisesten Hinweis auf Betrug bemerken konnten.
- Um die Möglichkeit auszuschließen, dass die Lichtanomalien betrügerisch produziert werden konnten, wurde von einigen Zeugen dafür gesorgt, dass es keine Lichtquellen in der Zelle gab, wenn sie die Nacht dort verbrachten. Kerner und Dr. Seyffer verhängten sogar die zwei Fenster in der Zellenwand, damit kein Licht von außen eindringen konnte. Kerner stellte insbesondere sicher, dass die Beobachtungen nicht etwa durch Mondlicht verursacht werden konnten. Er konnte das dadurch ausschließen, dass das Mondlicht bestimmte Bereiche im Gefängnisinneren einfach nicht erreichen konnte und falls es in die Zelle fiel, projizierte es einen ganz andersfarbigen Lichtschein, der immer auch eine Projektion des Schattens der Gitterstäbe beinhaltete.
- Manche der Zeugen, so Professor Kapff und Dr. Seyffer, brachten eigene Lichtquellen mit, damit sie die Zelle bei Bedarf ausleuchten konnten. So konnte Kapff berichten, dass er das eine Mal, als sich die Erscheinung in der Zelle befinden sollte, nichts Ungewöhnliches bemerkte. Zugleich konnte Herr Mayer durch den Lichteinsatz ausschließen, dass Betrug die Ursache für die Geräusche war.
- Es fanden auch Reproduktionstests statt. So versuchten einige der Zeugen, die Klappergeräusche der Fensterscheiben und -sprossen nachzustellen und versagten vollständig. Nicht einmal als sechs Leute gleichzeitig an den Gitterstäben rüttelten, entstand dabei ein Geräusch; erst recht keines, dass mit dem Lärm, den der Spuk scheinbar produzierte, vergleich gewesen wäre.
Kerner gab auch an, dass Elisabetha Eslinger bereits vor ihrem Gefängnisaufenthalt in ihrem Zuhause von „Anton“ aufgesucht worden sei; dies sei von einer ihrer Töchter bestätigt worden. Zudem habe sie durch das Auftreten der Phänomene keinerlei Benefit erhalten, sondern vielmehr für einige Monate kaum essen und schlafen können, was sie zunehmend geschwächt habe.
Für heutige Verhältnisse sind allerdings die meisten der Zeugenaussagen unangemessen kurz oder lassen Details vermissen. Scheinbar waren die Zeugen nur gebeten worden, ihre Beobachtungen mitzuteilen und ein Hinterfragen, warum sie der Ansicht waren, dass die Ereignisse paranormal sein müssen, fand selten statt. Scheinbar wurden die Aussagen auch nicht miteinander verglichen. Drei Berichte weisen unterschiedliche Daten für bestimmte Ereignisse auf. Der in „N equals 1“ abgebildete Grundriss des Gefängnisstockes in dem der Spuk stattfand wurde anhand der Beschreibungen in Kerners Bericht angefertigt, es gab keinen Grundrissplan im Originalbericht [8].
5. Heutige Situation
Das Gefängnis wurde in den späten 1990er Jahren abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Das Kernerhaus ist heute Museum und zu öffentlichen Zeiten zu besichtigen [9], [10]. Etwas morbide mutet an, dass es im Dachgeschoss des Hauses ein „Sargzimmer“ gibt und dass Kerners Gästehaus („Alexanderhäuschen“) um 1600 das Totenhaus des alten Friedhofs gewesen ist. Der Turm im Garten trägt die Bezeichnung „Geisterturm“.