Lasse dir den Artikel vorlesen:
1. Einleitung und Definition
Als Okkultismus bezeichnet man die Lehre vom Unerklärlichen bzw. vom Übersinnlichen, das mit den derzeitigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht zu vereinbaren oder zu erklären ist [1] [2]. Das Wort hat seinen Ursprung in der lateinischen Sprache, in der occultus so viel wie ‚verdeckt‘, ‚geheim‘ oder ‚verborgen‘ bedeutet. Es umspannt heute eine recht große Bandbreite an Begriffen, die teilweise auch synonym verwendet werden (können). Beispiele hierfür sind ‚esoterisch‘, ‚paranormal‘ oder ‚übersinnlich‘ [3] [4] [10]. Welche Praktiken zum Okkultismus gehören, lässt sich dabei nicht trennscharf abgrenzen, da sich diese im Laufe der Zeit ändern oder verändern. Einige dieser Praktiken sollen aber im nächsten Abschnitt beispielhaft aufgelistet werden. Hintergrund solcher okkulten Praktiken ist oftmals eine spiritistische Weltanschauung, die davon ausgeht, dass vom Menschen nach seinem Ableben auf der Erde etwas zurückbleibt (Geister, Energien, etc.).
Generell lässt sich der Begriff Okkultismus in zwei Richtungen verstehen: der empirische Okkultismus und der esoterische Okkultismus, wobei der empirische Okkultismus unerklärliche Erscheinungen erforschen und erklären möchte. Der esoterische Okkultismus hingegen postuliert eine Art Geheimwissen, über das nur eingeweihte Personen verfügen können [5] [20].
Abschließend bleibt zu erwähnen, dass sich dieser Artikel vornehmlich auf den deutschsprachigen Raum bezieht. Die Verbreitung von Okkultismus in anderssprachigen Regionen würde den Rahmen dieses Artikels sprengen und wird bei Bedarf in einem separaten Artikel behandelt.
2. Beispielhafte Auflistung okkulter Praktiken nach Christiansen und Zinser (2001)
- Kartenlegen
- Pendeln
- Gläserrücken
- Automatisches Schreiben
- Wünschelrutengehen
- Tonbandstimmen (EVP)
- Telekinese, Psychochinese, Telepathie
- diverse Heilverfahren
3. Kurzer geschichtlicher Abriss
Okkulte Praktiken sind kein neues Phänomen, sondern wurden insbesondere in Europa bereits seit dem Mittelalter [3], spätestens aber seit der französischen Revolution 1789 durchgeführt [4]. Einzelne Belege gibt es wohl sogar schon aus der Antike. Im deutschsprachigen Raum feierte der Okkultismus und dessen Praktiken vor allem in der Zeit vor Hitlers Machtergreifung eine Hochzeit, in der sich die Praktiken gesellschaftlich großer Beliebtheit erfreuten [3]. Dies äußerte sich vor allem darin, dass in den zwanziger Jahren unter anderem Hellseher in der Polizeiarbeit eingesetzt wurden und damit den Begriff der „Kriminaltelepathie“ prägten. Ein Beispiel hierfür ist das „Institut für Kriminaltelepathische Forschung“, das im Jahr 1921 in Wien für einige Monate existierte. Auch in der Weimarer Republik gab es einige Fälle, in denen offiziell Kriminaltelepathen eingesetzt wurden. Dies wurde allerdings schon in dieser Zeit von kritischen und warnenden Stimmen begleitet [6].
Die Lage änderte sich ab 1933 durch die Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland, die okkultistische Vereinigungen als „staatsfeindlich“ einstuften. Dies lag vor allem daran, dass dem Okkultismus die Vorstellung von einer allumfassenden Bruderschaft der Menschheit innewohnte, die nicht mit der nationalsozialistischen Weltanschauung vereinbar war, in der die sogenannte „arische Rasse“ allen anderen Menschen überlegen war [3].
In der heutigen Zeit findet sich der Okkultismus vor allem in diversen Heilungsverfahren wie Reiki oder Edelsteintherapien, wird jedoch gesellschaftlich oder in den klassischen Wissenschaften wenig bis gar nicht anerkannt [4]. Dementgegen stehen wissenschaftliche Erhebungen, wie beispielsweise von Ina Schmid-Knittel aus dem Jahr 2015, die klar aufzeigen, dass 75% der 1510 Befragten angaben, bereits eine außergewöhnliche Erfahrung gemacht zu haben. Hierzu zählten unter Anderem Erscheinungen, Spukphänomene oder Psi-Phänomene [7]. Auch die in Deutschland mittlerweile recht große Ghosthunting-Szene mit ihren vielen YouTube-Kanälen spricht eher für eine breitere Akzeptanz über die Existenz okkulter bzw. übernatürlicher Phänomene [8]. Die Inhalte dieses Absatzes werden in Punkt 5 „Okkultismus in der heutigen Gesellschaft“ noch detaillierter ausgeführt.
4. Okkultismus in der Wissenschaft
In der Literatur der klassischen Wissenschaften wird Okkultismus auch als eine Art unscharfe Weltanschauung bezeichnet und okkulte Praktiken wie Pendeln, Kartenlegen oder sogenannte „schwarze Messen“ mit der seriösen anomalistischen Wissenschaft bzw. der Forschung im Bereich der Parapsychologie und die Erforschung von RSPK-Phänomenen über einen Kamm geschert [4] [9]. Besonders deutlich wird dies bei Zinser und Christiansen (2001), die den Okkultismus im weitesten Sinne – und somit eben auch die Parapsychologie – als „Erosion des wissenschaftlich ausgewiesenen Weltbilds“ darstellen [4]. Ganz so einfach darf man es sich jedoch wohl nicht machen. Vielmehr muss man hier zwischen dem oben erwähnten esoterischen Okkultismus und dem empirischen Okkultismus unterscheiden. Letzterer soll in diesem Abschnitt genauer beleuchtet werden.
Bereits früh kam bei den sogenannten kritischen Okkultisten, zu denen auch die promovierte Zoologin Dr. Fanny Moser gehörte, die Vermutung auf, dass es sich bei paranormalen Phänomenen nicht um Verstorbene oder sonstige Energien (spiritistische Interpretation [9]), sondern um psychisch-physisch induzierte Phänomene handelt (animistische Interpretation). Auch weitere anerkannte Wissenschaftler und Intellektuelle wie der Nobelpreisträger Charles Richet oder die Leipziger Physikprofessoren Karl Friedrich Zöllner und Gustav Theodor Fechner waren an diesem breiten wissenschaftlichen Diskurs beteiligt, was ebenfalls gegen eine unseriöse Herangehensweise bei der Erschließung dieses Forschungsfeldes spricht. Die erste große Institution, die sich mit der Parapsychologie befasste, war die im Jahr 1882 gegründete „Society for Psychical Research (SPR)“ in London.
Auf Grund der bereits eher negativen Konnotation des Begriffs „Okkultismus“, setzte sich im deutschsprachigen Raum der Begriff der „Parapsychologie“ durch, der vor allem von Hans Bender, dem Begründer des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg, popularisiert wurde [10].
Die heutige Parapsychologie ist weit mehr als nur ein Haschen nach dem Unerklärlichen. Es ist vielmehr ein interdisziplinäres Forschungsfeld, dass sich in den Grenzgebieten der Physik, der Psychologie, Medizin, Philosophie und Biologie befasst. Auch in der kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung hat das Themengebiet mittlerweile Einzug gehalten. Im Unterschied zu den oben genannten Forschungsfeldern geht es hier aber nicht darum die mögliche Echtheit der Phänomene belegen zu können – vielmehr versucht man die Auswirkungen und die Verbreitung dieses komplexen Themenfeldes in der Gesellschaft zu untersuchen [10].
Nachzulesen ist dies auch auf den Homepages des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) in Freiburg im Breisgau, dem größten Institut seiner Art [15], und der der Gesellschaft für Anomalistik (GfA) [16]. An dem Vereinsstatus dieser beiden Institutionen wird deutlich, dass es für die Forschung im Bereich der Anomalistik recht schwierig scheint an Forschungsgelder zu kommen. Die GfA gibt zweimal im Jahr die Zeitschrift für Anomalistik (ZfA) heraus, in der internationale Forschungsprojekte vorgestellt werden. Laut dem Geschäftsführer der GfA, Gerhard Meyer, ist auch die Veröffentlichung anomalistischer Themen in Zeitschriften der klassischen Wissenschaft eher schwierig. Die GfA und die ZfA sollen den Forschenden der Anomalistik eine seriöse Möglichkeit bieten über Themen rund um die Grenzgebiete des derzeitigen Kenntnisstandes der Wissenschaft publizieren zu können [17].
Die nach eigenen Angaben erste Organisation, die sich mit diesen Grenzgebieten wissenschaftlich auseinandersetzte, war die oben bereits erwähnte SPR [18]. Ähnlich wie das IGPP im deutschsprachigen Raum befasst sich die SPR nicht nur mit der Erforschung von anormalen Phänomenen, sie war auch an der Untersuchung einiger sehr gut dokumentierter RSPK-Fälle (z.B. Enfield-Poltergeist-Fall) beteiligt [19].
5. Okkultismus in der heutigen Gesellschaft
Inwieweit Okkultismus (im Sinne des esoterischen Okkultismus) in der breiteren Gesellschaft eine Rolle spielt kann derzeit nicht gesichert nachvollzogen werden. Hier kann lediglich von Statistiken zum Thema „Aberglaube“ auf den Okkultismus geschlossen werden. Hierbei kann festgestellt werden, dass Frauen sich deutlich abergläubischer einschätzen als Männer [11]. Generell ist das Thema „Aberglaube“ in Deutschland eher negativ konnotiert, wie eine Umfrage von Statista und YouGov aus dem Jahr 2021 zeigt. Demnach sehen 49% der befragten Personen (n = 2041) den Begriff des Aberglaubens als negativ belegt. Dementgegen stehen 28%, die Aberglauben als etwas Positives sehen [12].
In den vergangenen Jahrzehnten gab es vermehrt Studien zur Verbreitung von okkulten Praktiken oder Glaubenssystemen unter Jugendlichen bzw. Schülerinnen und Schülern. So gibt Zinser (1993) in Erhebungen aus den Jahren 1989 bis 1991 an, dass in Westberlin 25% der Schülerinnen und Schüler (von 13 – 20 Jahren, n = 2200) mehr oder weniger regelmäßigen Kontakt zu okkulten Praktiken hatten. Bei den erwachsenen Schülerinnen und Schülern, beispielsweise im zweiten Bildungsweg (23 Jahre, n = 500) gab die Hälfte der befragten Personen an, bereits einmal eine okkulte Praxis durchgeführt zu haben, wobei wiederum die Hälfte davon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktiv mindestens eine okkulte Praxis durchführte [9]. Laut Kultusministerium Baden-Württemberg hat sich daran bis in die heutige Zeit wenig geändert. Auch heute noch sind Praktiken wie Kartenlegen oder Wahrsagen sehr attraktiv für Jugendliche. Erweitert werden diese mittlerweile jedoch auch durch Apps und Spiele mit entsprechendem Inhalt beziehungsweise Setting [2].
Zählt man alternative Heilverfahren hinzu, kann man feststellen, dass im Jahr 2016 der Glaube an die Wirksamkeit solcher Heilmethoden bei Frauen generell höher eingeschätzt wird als bei Männern (n = 1063). Geschlechterübergreifend glauben auch bei schweren Erkrankungen wie Krebs 22% der Befragten an die Wirksamkeit solcher Methoden. Bei Autoimmunkrankheiten sind es sogar 35% [13]. Eine Erhebung aus dem Jahr 2022 zeigt, dass von 1700 befragten Personen 35% (Meditation) beziehungsweise 34% (Yoga) als ergänzende Heilmethoden genutzt wurden [14].
Auch das Ghosthunting als Freizeitbeschäftigung kann durchaus unter dem Begriff des esoterischen Okkultismus eingeordnet werden. Schaut man sich die Vorgehensweise der Teams an, so stellt man fest, dass diese geprägt ist von einer spiritistischen Grundeinstellung. Dies lässt sich daran festmachen, dass versucht wird über diverse Gerätschaften in Kontakt mit verstorbenen Personen zu treten und eine Kommunikation aufzubauen. Die steigende Anzahl der Ghosthunting-Teams in Deutschland (2009: 10 Gruppen; 2013: 30 Gruppen; 2024: 58 Gruppen) lässt eine steigende Akzeptanz der Thematik in der Gesellschaft erkennen. Dies hängt wohl auch mit den immer einfacher werdenden Möglichkeiten zusammen, die Ergebnisse der Untersuchungen im Internet zu präsentieren und zu verbreiten [8].