1. Einleitung
Das Thema von psychokinetischen Fähigkeiten, heute gemeinhin als Telekinese bezeichnet, ist kein besonders neuzeitliches. Ein gewisser Höhepunkt ist bereits in den 1970er Jahren festzustellen: Jan Merta, Matthew Manning oder hierzulande Uri Geller traten ins Rampenlicht und präsentierten ihre mehr oder weniger beeindruckenden telekinetischen Fähigkeiten. Dabei standen Matthew Manning und eine Russin namens Frau Michailowa (die ihre Fähigkeiten u.a. in Filmen demonstrierte) bereits früher einmal im Mittelpunkt von RSPK-Phänomenen. Beide lernten im weiteren Verlauf und beim Ausbau ihrer Fähigkeiten, angeblich diese zu beherrschen. Matthew Manning hat über den Weg zur Beherrschung von Telekinese ein Buch geschrieben (The Link, 1974). Gibt es vielleicht eine bestimmte Voraussetzung, um Psychokinese (PK)-Phänomene zu erzeugen? Musste eine solche Person bereits in ihrer Jugend mit der Materie in Kontakt gekommen sein? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit die in der Regel unkontrollierbaren Phänomene beherrscht werden können? Und wenn doch einzelne Personen in der Lage waren, PK zu beherrschen – was würde dann passieren, wenn das einer ganzen Gruppe von Menschen gelingen würde?
Diese Fragen waren es, die acht Mitglieder der Society of Psychical Research (SPR) 1973 dazu verleiteten, ein nie dagewesenes Experiment zu beginnen.
2. Zusammensetzung der Gruppe
Die Gruppe bestand aus einem Querschnitt der Bevölkerung: Vier Hausfrauen, ein Ingenieur, ein Buchhalter, ein Industriezeichner, ein wissenschaftlicher Forschungsassistent – und ja, so sag damals ein „repräsentativer Bevölkerungsquerschnitt“ eben aus. Ein Medium war laut Eigenauskunft der Personen nicht darunter und jeder hatte neben der parapsychologischen Forschung noch andere Interessensgebiete. Die Vorbereitungen auf das Experiment begannen bereits im Frühjahr 1972. Die Gruppe setzte sich nichts Geringeres zum Ziel, als einen Geist „erschaffen“ zu wollen. Der Name dieses Geistes stand schnell fest: Philip. Zentraler Dreh- und Angelpunkt: Philip hatte es nie gegeben.
3. Vorgehensweise
Die Gruppe traf sich einmal in der Woche für die im Voraus festgelegte Dauer von zunächst einem Jahr. Alle Einzelheiten aus Philips Leben und über Philips Persönlichkeit wurden von der Gruppe selbst festgelegt und detailreich ausgeschmückt, inklusive einer tragischen Geschichte und eines fiktiven Landsitzes (an einen real existierenden Ort entfernt angelehnt). Philip sollte im 17. Jahrhundert als englischer Aristokrat gelebt haben. Die Gruppe trug Fotografien des real existierenden Landsitzes und seiner Umgebung zusammen und hängte diese in dem Zimmer auf, das fortan nur noch für das Experiment genutzt werden durfte. Gemeinsam erarbeitete man alle Einzelheiten, machte sich mit Philip und seiner Zeit vertraut und fertigte sogar ein Porträt von Philip an. Die Gruppe einigte sich darauf, dass man Philip gerne als „kollektive Halluzination“ erzeugen wolle, er sollte sich also vor ihren Augen materialisieren. Dazu stellte man das angefertigte Bild von Philip auf einen Tisch oder auf ein Stück mit Aluminiumfolie bezogene Pappe, setzte sich im Kreis herum und hoffte, dass sich Philip zeigen würde. Im Gegensatz zu anderen Versuchen saß die Gruppe dabei niemals in völliger Dunkelheit. Es wurde gemeinsam meditiert und anschließend entspannten sich alle und sprachen über ihre Empfindungen während der Meditation. Es folgte eine zweite Meditationszeit und diese Phasen wurden allmählich länger. In den Pausen unterhielt man sich über Philip. Allerdings war dieses erste Jahr der Zusammenkunft wenig fruchtbar – Philip zeigte sich nicht.
Doch hatten die Teilnehmer ein außerordentlich gutes Verhältnis untereinander entwickeln können, das durchaus mit Freundschaft und Zuneigung beschrieben werden konnte. Schließlich änderte die Gruppe die Methode, passte sie den Gepflogenheiten der viktorianischen Zeit an, aus der Philip ja stammte: Damals saßen die Teilnehmer einer Séance in entspannter Haltung um einen Tisch herum, auf den man gut sichtbar die Hände platzierte; man sang Lieder und Hymnen, scherzte und unterhielt sich untereinander.
4. Phänomenologie
Und dann passierte es: Eines Abends schien die Oberfläche des Tisches plötzlich zu vibrieren. Es folgten zunächst zaghafte, dann deutliche Klopftöne und schließlich begann der Tisch, schnell und willkürlich umherzugleiten – Philip war da!
Schnell wurde ein Klopf-Code festgesetzt: Ein Klopfton für „Ja“, zwei für „Nein“. Von nun an begann jede Sitzung damit, dass die Teilnehmer sich um den Tisch herum platzierten und Philip einzeln begrüßten. Philip begrüßte seinerseits ebenfalls jeden Einzelnen durch einen Klopfton unter der Hand des jeweils Sprechenden. Die Gruppe stellte fest, dass es besser war, Fragen immer wieder durch Gespräche und Lieder zu unterbrechen. Mit der Zeit schien der Tisch – es handelte sich übrigens anfangs um einen gewöhnlichen Klapptisch mit Plastikoberfläche – eine regelrechte „Eigenpersönlichkeit“ zu entwickeln. Wusste Philip die Antwort auf eine Frage nicht, ertönten zögernde Schläge. Wollte Philip die Antwort nicht geben, vielleicht weil sie ihm zu privat war (dies geschah vornehmlich bei Fragen über seine ungeliebte Frau), ertönten von unterhalb der Tischplatte ungewöhnliche Kratzgeräusche. Besonders gute Witze wurden mit einer Art rollendem Klopfton quittiert und nicht selten begleitete Klopfen den Takt der gesungenen Lieder. Der Tisch brachte es fertig, mühelos über einen Boden mit dickem Haarteppich zu rutschen, er kippte, hob einzelne oder mehrere Beine und drehte sich um sich selbst. Immer wieder fanden Selbsttests innerhalb der Gruppe statt, um auszuschließen, dass doch eine Form der Manipulation stattfand.
Ein interessanter Vorfall trug sich zu, als eine Aussage Philips in Frage gestellt wurde, weil sie sich mit dem historischen Kontext nicht vertrug. Demnach wollte Philip die Winterkönigin Elisabeth von Böhmen gekannt haben, hatte aber zu einem früheren Zeitpunkt angegeben, dass er ihren Schwager Prinz Rupprecht eben nicht gekannt haben wollte. Ein anwesender Historiker behauptete wiederholt, dass Prinz Rupprecht doch der Schwager der Winterkönigin gewesen sei – und Philip bestritt dies ebenso oft durch vehementes Klopfen. Der Historiker schlug schließlich in einem Lexikon nach und es stellte sich heraus, dass Philip Recht gehabt hatte; Elisabeth und Rupprecht hatten in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis gestanden. Dies war eine der wenigen Gelegenheiten bei denen Philip tatsächlich dem kollektiven Wissen widersprochen hatte – innerhalb der Gruppe war das Verwandtschaftsverhältnis niemandem bekannt gewesen.
Einmal forderte die Gruppe Philip auf, doch bitte ein krankes Mitglied zuhause zu besuchen. Dieser Teilnehmer hörte genau zu der Zeit einen lauten Klopfton.
Die Tische variierten mit der Zeit; so verwendete man auch einen schweren Holzgartentisch oder einen Esstisch. Die schweren Holztische gaben lautere, voluminösere Klopfgeräusche von sich. Doch machte die Wahl des Tisches ansonsten keinen Unterschied – in einem anderen Experiment („Lilith“) bewährte sich auch ein Tisch aus Plexiglas mit Metallbeinen.
Philips Porträt befand sich inzwischen auf einer Leuchtplatte, die aus einer Anzahl von bunten elektrischen Glühbirnen hinter einer Mattglasscheibe bestand. Über eine Kontrollplatte konnten die Farbe und die Lichtstärke ausgewählt werden. Philip schaffte es, diese Lichter zum Flackern zu bringen, schließlich sogar auf Aufforderung. Und auch mit zeitgenössischer Musik wurde gearbeitet – beides Vorläufer oder vielleicht sogar Begründer heute noch angewendeter Techniken in der Feldforschung.
Es kam zu weiteren physikalischen Phänomenen: Die Sitzungen wurden im Sommer 1973 wegen der Urlaubszeit in Privatwohnungen verlegt. In der Wohnung des Mitglieds namens Al kam es auch mit einem neuen hölzernen Kartentisch bald wieder zu heftigen Phänomenen. Den Tisch stellte Al vor ein Fenster am hinteren Ende seines Wohnzimmers, davor stand ein Stuhl. Eines Abends kam Al heim und der Stuhl war umgestürzt; der Tisch war durch das komplette Wohnzimmer gerutscht und befand sich nun im Flur.
Manchmal entzog sich der Tisch komplett den Händen der Gruppe, kreiselte in eine Ecke des Zimmers, drückte sich in Ausgänge, tanzte herum. Einmal blieb er sogar mit drei Beinen in der Luft stehen, während er mit einem Bein auf dem Fußboden stand und mit den anderen Beinen gegen eine Wand klopfte. Er begann auch zu schaukeln oder flitzte hin und her, mit allen Beinen in der Luft. Der Tisch schien auch zu stöhnen, die Beine krachten nur so und letztlich entschied man sich für einen schwereren Holztisch. Der wurde aber bald wieder abgeschafft, da er die Wände bei seinen Bewegungen beschädigte. Dies führte zur Reaktivierung des Kartentisches, der alsbald weitere Kapriolen schlug: Einmal schien er den Versuch zu machen, auf einen Stuhl zu klettern, wobei ein Bein vollständig abbrach. Trotz des fehlenden Beins kam es zu weiteren Kreiselbewegungen durch das Zimmer. Schließlich musste aufgrund der Zerstörung des Kartentisches doch wieder der Holztisch her. Auch dieser war jetzt aktiver als jemals zuvor, vollführte mit einem Bein auf dem Boden und den anderen in der Luft Kreiselbewegungen durch den Raum. Wie erwähnt, waren die Klopftöne zudem lauter.
Es gesellten sich immer wieder außenstehende Besucher als Zuschauer zur Gruppe, die Zeugen dieser Vorfälle wurden. Es wurde auch versucht, die Bewegungen des Tisches zu reproduzieren, allerdings war dies schlicht unmöglich.
Der Gesundheitszustand der Mitglieder spielte ebenfalls eine Rolle: Fühlten sich Anwesende krank oder fehlten gar, wurden die Phänomene deutlich schwächer. Auch ließ die anfängliche Euphorie und damit verbundene Dynamik im Laufe der Zeit nach – war man etwa dabei, Philip wieder abzuschaffen? Die Gruppe überdachte ihre Vorgehensweise und wurde sich bewusst, dass positives und erwartungsvolles Denken die Grundvoraussetzung für die Erschaffung der Phänomene waren.
Ein erneuter Tischwechsel zurück zum Ursprungstisch führte wieder zur alten oder sogar besseren Form zurück: Der Tisch stöhnte oder knarrte, wenn Limonadengläser auf den Tisch gestellt wurden, kippte der Tisch. Manchmal benahm er sich regelrecht gewalttätig, glitt seitlich über den Boden mit zwei Beinen in der Luft oder jagte eine Teilnehmerin, manches Mal konnte dabei niemand mehr seine Hände auf der Tischplatte halten.
Das Experiment wurde einem Härtetest unterzogen: Würden sich die Phänomene auch in Anwesenheit eines Filmteams wiederholen? Das taten sie, scheinbar völlig unbeeindruckt von dem ganzen Gewese im Zimmer. Wiederholt kam es ab Januar 1974 zu Sprung- und Schaukelbewegungen des Tisches. Gegen Ende der Dreharbeiten zum Dokumentarfilm „Philip, The Imaginery Ghost“ kam es schließlich gar zur vollständigen Levitation: Zwei unabhängige Zeugen sahen, wie sich der Tisch etwa 1,3 cm vom Boden hob und ein kurzes Stück schwebte. Doch dieses Mal war das Aufnahmeglück nicht mehr so hold; aufgrund des Winkels war dem Kameramann eine Aufnahme nicht vergönnt.
5. Zusammenfassung
Das Philip-Experiment zog sich über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren hin. Zwei weitere, ähnlich aufgebaute Experimente mit „Lilith“ und „Humphrey“ erzielten vergleichbare Ergebnisse. Das Philip-Experiment hat den Beteiligten gezeigt, dass eine besondere psychologische Einstellung für die Erzeugung von physikalischen Phänomenen vorhanden sein muss.
1. Zur Anfangszeit und auch darüber hinaus wurde viel meditiert. Dies führte dazu, dass sich die Teilnehmer untereinander wohl fühlten und entspannen konnten. Entspannung und die Fähigkeit, sich nicht zu konzentrieren, waren entscheidende Faktoren. Es wurde viel gesungen und gelacht.
2. Es handelte sich um unvoreingenommene, belesene Personen, die ohne Vorurteile an das Experiment herangingen.
3. Eine skeptische Haltung gegenüber paranormalen Phänomenen kann diese effektiv stoppen. Alle Teilnehmer zweifelten nicht daran, dass es solche Phänomene gibt.
4. Das Auftreten von Phänomenen darf nicht zu Überraschung oder Erstaunen führen. Wohl aber ist eine bestimmte „erhöhte Erwartung“ unabdingbar.
5. Die einfache „Ja“ – „Nein“ – Beantwortung förderte die Phänomene. Die Teilnehmer sind überzeugt, dass Versuche mit einem Ouija-Board an der Komplexität gescheitert wären.
6. Motivation und Erwartungshaltung waren wichtige Voraussetzungen innerhalb der Gruppe. Innerhalb der Gruppe entstanden großes Vertrauen, eine harmonische Atmosphäre und tiefe Freundschaft.
7. Die Teilnehmer hatten Philip gemeinschaftlich erschaffen, dadurch wurden die Phänomene ihm zugeordnet und keiner der Teilnehmer musste sich dafür verantwortlich fühlen.
8. Die Gruppe hatte zu keinem Zeitpunkt Angst, da allen immer bewusst war, dass es bei Philip um keinen „echten“ Geist handelte.
9. Die Sitzungen fanden nahezu immer bei voller Beleuchtung statt. Die Teilnehmer kontrollierten sich untereinander.